Diese Woche des Monats Juli war in der Vergangenheit ereignisreich in der Luftfahrt, in der es um die Jahrhundertwende noch recht abenteuerlich zuging. Wir wollen hier drei Ereignisse herausgreifen, die das illustrieren.
Zum einen jährt sich heute der Absturz des Luftschiffes Erbslöh, geschehen am 13. Juli 1910. Dabei kam dem tragischerweise auch sein Erbauer und Namensgeber, der Luftfahrtpionier Oskar Erbslöh, ums Leben. In diesem Fall war das Problem das Traggas, der Wasserstoff, der sich entzündete – siehe Ein wenig Technikgeschichte … Luftschiffe und Wasserstoff als Hintergrund.
Zwei Tage und 13 Jahre vorher, am 11. Juli 1897, war Salomon August Andrées Expedition gestartet. Die Schweden wollten den Nordpol in einem Gasballon erreichen, der ebenfalls Wasserstoff als Traggas nutzte. Auch diese Fahrt nahm ein tragisches Ende, im Oktober desselben Jahres. Hier war es allerdings kein Brand, der das Ende herbeiführte.
Andrée hatte in einer frühen Crowdfunding-Aktion für sein Projekt der Nordpolfahrt geworben und so die Erwartungen sehr hochgeschraubt. Probleme bei ersten Versuchen und Hinweise auf Schwachpunkte wurden nicht beachtet. Die erste Warnung kam schon beim Start des Ballons Örnen: man verlor sofort die Schleppleinen und anderen Ballast und stieg so in ungeplante Höhen auf. Auch der Rest der Fahrt verlief aufgrund der Windverhältnisse anders als geplant. Nach drei Tagen unruhiger Fahrt mit vielen Bodenberührungen setzte der Ballon zum letzten Mal auf und man brach die Fahrt ab. Ein Drittel der Strecke zum Nordpol war geschafft und die Expeditionsteilnehmer versuchten nun den Rückweg zu Fuß über das Eis anzutreten. Erst 33 Jahre später fand man ihre Leichen.
Einen glücklicheren Ausgang nahm die Ballonfahrt, die Harry Graf Kessler in seinem Tagebuch beschreibt. Zwei Tage vor Andrées Ballonstart, am 9. Juli 1897, stieg Kessler mit zwei Offiziers-Kameraden auf. Einer der beiden war übrigens Willy Richthofen – eigentlich Wilhelm Graf von Richthofen-Seichau, ein Verwandter des berühmten Jagdfliegers.
Die Beschreibung dieser Fahrt liest sich so, wie man sich eine Ballonfahrt wünscht: wunderbare Ausblicke über die Landschaft Preußens, gewürzt mit einem kleinen Abenteuer zum Schluss. Man merkt aber unschwer, dass dieser Bericht aus anderen Zeiten stammt. Die Zeiten als Uniformierte, bei einem illegalen Grenzübertritt erwischt, zum Tee geladen und nach einer recht bequem verbrachten Nacht wieder zurückgeschickt wurden, sind wohl vorbei.
Hier also Kesslers Tagebucheintrag:
Gestern Abend um 11 Uhr aus dem Sportpark in Friedenau mit Lekow vom Elisabeth Regt und Willy Richthofen im Ballon aufgestiegen. Viel Menschen zur Abfahrt da. Im Moment des Wegfliegens spielte die Musik Muss i denn, muss i denn zum Städtle hinaus. Gleich 400 Meter über dem Tempelhofer Felde das von Lichtergefunkel von Berlin, mit der Friedrichstrasse als Lichtgrat in der Mitte, begrenzt wurde. Müggelsee und andre Wasserläufe unter uns in der fast sternlosen Nacht wie geschmolzenes Blei in der Landschaft. Auf den Eisenbahnstrecken plötzlich die Lichterreihen und das ferne Brausen der Züge gradlinig durch die Nacht. In der Ferne bald der Lichtschein von Frankfurt. Gegen ½ 3 fieng es an hell zu werden. Vor uns die Oder; Bis gegen 6 schwebten wir am Fluss lang in etwa 2000 Meter Höhe nachdem die Sonne den Ballon erwärmt hatte. Dann hinter Sabor und Grünberg über den Fluss weg und ostwärts über das Posensche Lissa, Koszmin. Plötzlich sah ich unten Etwas Weisses, das wie Kürassiere aussah; durch das Glas erkannten wir einen russischen Grenzposten, der eilig aus seiner Baracke herauskam und aufsass. Wir fiengen an uns hinunterzulassen. Als wir schon ziemlich dicht an der Erde waren galoppierte uns ein einzelner Grenzsoldat in weisser Uniform mit dem Carabiner auf dem Rücken entgegen, als ob er den Ballon aufhalten wollte. Wir flogen aber über seinen Kopf hinweg in ein Feld hinein, vor dem sich eine Pappelallee hinzog; der Wind musste uns offenbar in die Bäume hineintreiben; daher noch einen Sack Ballast hinaus und über die Pappelallee in einem Satz weg in ein Kartoffelfeld und Russland hinein, da die Allee die Grenze bildet. Der Ballon machte noch zwei Sprünge, bei denen wir uns jedesmal an den Gondelsträngen hochziehen mussten, um bei Aufstossen nicht die Beine zu brechen, und schliesslich lag er, die Gondel umgekippt und wir auf der einen Brüstung stehend und noch nach Leibeskräften am Ventil ziehend, bis das Gas endlich ausgeströmt war. Gleich umringten uns Grenzsoldaten und Bauern, der Rittmeister und der Vorsteher des Zollamts kamen, auch der Gutsbesitzer, ein Herr von Bronikowski, und die Beamten erklärten uns gleich für gefangen und unsere Sachen für beschlagnahmt. Die Soldaten halfen noch den Ballon zusammenpacken, dann wurden wir abgefahren nach der Zollkammer. Hier telegraphierte der Zolldirektor an den Obersten der Dritten Abteilung in Kalisch, Lekow bekam die Erlaubnis seinen Onkel, der beim Gouverneur von Kalisch Adjutant ist, aufzusuchen und wir wurden vom Zolldirektor zum Thee eingeladen, bei dem die ganze Familie erschien, alle recht gut französisch sprechend. Namentlich eine alte Tante mit einem vollkommenen Vollbart, mit der ich gleich bei der Begrüssung carambolierte, da ich ihr die Hand und sie mir die Stirn küssen wollte, die mich dafür aber bei Tisch über Litteratur, deutsche, französische und russische, Goethe und Dostojewski, ausgezeichnet unterhielt, obgleich sie wie sie sagte nie über Breslau hinausgekommen war. Während des Thees erschien ehrfurchtsvoll begrüsst der Oberst der Dritten Abteilung, ein gewisser Zimmermann, mit blauer Uniform, grauem Mantel, sehr feierlich und wir kehrten gleich in die Kammer zurück, wo die Untersuchung unserer Sachen vor sich gieng; jedes Schnippelchen Papier wurde genau gelesen und notiert; die Sache dauerte bis 7 und schliesslich telegraphierte der Blaue nach Warschau es wären an der Grenze drei preussische Offiziere mit Karten von der Grenze im Ballon aufgehalten worden. Ein Oberst von d. Launitz von den Dragonern und Lekows Onkel der Oberst v. Lange fungierten als Dolmetscher, konnten aber Nichts thun, da die Dritte Abteilung über dem Gouverneur steht. Endlich wurde uns mitgeteilt, wir dürften für die Nacht nach Kalisch gehen, müsssten aber, wie mir der Oberst Zimmermann ausdrücklich erklärte, uns dort aufhalten, bis Befehle aus Warschau kämen. Spät telegraphierte der Gouverneur von Kalisch noch an den General Gouverneur Fürsten Emeritinsky und bat für uns um Befreiung. Während dieser Zeit zeigte mir Launitz seine Kaserne und den Stadtpark und nachher bei Lange zu Abend. Die Nacht im Hotel. Früh bei Lange gefrühstückt. Endlich um 11 Uhr kam das Telegramm von Emeritinsky, man solle uns freilassen und uns unsere Sachen wiedergeben. Erst noch bei Langes geluncht, dann zu Lekows Mutter aufs Gut gefahren, die gerade jenseits der Grenze wohnt, dann noch zu einem Herrn v Stiegler und schliesslich Nachts über Posen nach Berlin zurück.
Harry Graf Kessler: Das Tagebuch. Dritter Band. 1897-1905. Eintrag vom 10.7.1897