Drahtlose Kraftübertragung und Hans Dominiks "Die Macht der Drei"

Drahtlose Kraftübertragung und Hans Dominiks „Die Macht der Drei“

Hans Dominiks Zukunftsroman Die Macht der Drei, der im Jahre 1923 erschien, soll in einer Zukunft des Jahres 1955 spielen. Zu diesem Zeitpunkt hat ein Ingenieur es geschafft, ein Gerät zur Übertragung von Kraft über lange Strecken mittels Funkwellen zu erschaffen. Mittels dieser Kraftübertragung, der telenergetischen, wollen die Protagonisten einen Konflikt zwischen den Weltmächten England und USA — im damaligen Neudeutsch English Speaker genannt — verhindern.

Neben der für heutige Leser ungewohnten weltpolitischen Konstellation fragt man sich natürlich, wie der Autor ausgerechnet auf das Mittel der drahtlosen, telenergetischenKraftübertragung kam, das selbst im beginnenden 21. Jahrhundert noch nicht so richtig funktionieren mag?

Stöbert man in der zeitgenössischen populären Literatur, findet man aber relativ leicht Texte, die diese Idee als bald zur Verfügung stehende Realität propagierten. Eine Quelle für solche Ideen ist Arthur Brehmers bekannter Sammelband Die Welt in 100 Jahren von 1910, der zuletzt 2010 neu aufgelegt wurde. Die Welt in 100 Jahren ist eine Sammlung von Aufsätzen verschiedener Autoren, in der diese ihre Sicht der zukünftigen Entwicklung des menschlichen Lebens darlegen. Das reicht vom Einfluss der Maschinen, von Krieg (Rudolf Martin) und Frieden (Bertha von Suttner), der Stellung der Frau, den Kolonien bis hin zu Literatur und Musik.

Das Kapitel Das drahtlose Jahrhundert breitet begeistert die Möglichkeiten der relativ neuen Funktechnik vor den Lesern aus. Es illustriert, wie in Zukunft Flugzeuge per drahtloser Übertragung mit Antriebskraft versorgt werden könnten. Dieselbe Technik soll dann zur Bildtelefonie mit den Lieben daheim oder der Live-Musikübertragung aus der Oper verwendet werden.

Der Autor erwähnt zwar, dass für all dies gerade erst die Grundlagen gelegt wurden. Aber mit dem Optimismus des beginnenden 20. Jahrhunderts geht er davon aus, dass die allgemeine Verfügbarkeit kurz bevorstehe:

Und was das „Sehen“ der Person betrifft, mit der man spricht, so ist das Problem auch schon gelöst, wenn auch noch nicht jene Vollkommenheit erreicht ist, auf die wir aber keineswegs mehr als zehn, geschweige denn hundert Jahre warten müssen. Und was das Treiben eines Aeromobils durch diese erstaunliche Kraft, die wir die „Drahtlose“ nennen, anbelangt, weshalb nicht?

Auch die Segnungen des Mobiltelefons wurden 1910 schon ziemlich präzise vorhergesehen, obwohl es bis zur Verwirklichung des Taschentelephons in seiner ganzen Breite dann doch an die hundert Jahre brauchte:

Sobald die Erwartungen der Sachverständigen auf drahtlosem Gebiet erfüllt sein werden, wird jedermann sein eigenes Taschentelephon haben, durch welches er sich, mit wem er will, wird verbinden können, einerlei wo er auch ist, ob auf der See, ob in den Bergen, ob in seinem Zimmer, oder auf dem dahinsausenden Eisenbahnzuge, dem dahinfahrenden Schiffe, dem durch die Luft gleitenden Aeroplan, oder dem in der Tiefe der See dahinfahrenden Unterseeboot. Ueberall wird er mit der übrigen Welt verbunden sein, mit ihr sprechen und sich mit ihr verständigen können, und er wird sie sehen, wenn er sie sehen will, und sei er auch tausend Fuß tief unter der Erde oder unter dem Spiegel des Ozeans, und wird gesehen werden in jeder, auch in der kleinsten seiner Bewegungen.

Hans Dominik, der ja selbst in der Elektrotechnik tätig war, mochte in den 1920ern gesehen haben, dass es mit der Verwirklichung mancher Aspekte der Funktechnik doch noch etwas dauern könnte. Und so verlegte er die Nutzbarmachung der drahtlosen Kraftübertragung und des Bildtelefons in die aus seiner Sicht nahe Zukunft, das Jahr 1955 eben. Das hatte den Vorteil, dass er die gesellschaftlichen Verhältnisse beibehalten, und sich auf die Auseinandersetzung zwischen Großbitannien, das seine Kolonien behalten wollte, und den Vereinigten Staaten, die sich während diverser Kriege in eine aggressive Diktatur verwandelt hatten, konzentrieren konnte.

Vor dieser Kulisse erfinden die Protagonisten in Die Macht der Drei einen Apparat, der den Visionen von 1910 in nichts nachsteht. Man kann damit aus der Ferne Kraft auf beliebige Punkte im Raum anwenden:

Es ist das Problem der telenergetischen Konzentration, dessen Lösung mir gelungen ist. Nimm an, ich hätte hier in unserem Hause eine Maschine, die tausend Pferdestärken leistet. Es ist klar, daß ich die Energie hier an Ort und Stelle zu allem möglichen verwenden kann. Aber es war bisher kein Mittel bekannt, diese Energie an einem Punkte in beliebiger Entfernung konzentriert wirken zu lassen.

Natürlich ist man in Dominiks Roman schon etwas weiter und überträgt nicht nur die Leistung simpler Dynamos. Um es mit den Agenten Großbritanniens und der USA aufnehmen zu können, die natürlich diese Erfindung in ihre Gewalt bringen wollen, benötigt man schon etwas mehr Energie. Aber im Grundsatz folgt man den schon 1910 propagierten Ideen.

Da ist es auch nicht verwunderlich, dass die Lösung eleganterweise auch gleich zur visuellen Zielerfassung verwendet werden kann:

Die letzte Schwierigkeit, die noch zu lösen blieb, betraf das genaue Zielen. Es war notwendig, das entfernte Objekt, auf welches der Energiestrom gerichtet wurde, zu sehen. […] Die aus dem Strahler entsandte Formenenergie reflektierte zu einem winzigen Teile von der Konzentrationsstelle zum Strahler zurück und entwarf hier ein optisches Bild dieser Stelle.

In der Folge können die Erfinder einen veritablen Fernseher bauen, der es möglich macht, jemanden aus der Ferne zu sehen. Leider reicht es nicht für den Ton. Das allgewaltige Taschentelephon bleibt also auch in diesem Roman Zukunftsmusik. Aber Die Macht der Drei war ja auch nur der erste von Dominiks klassischen Zukunftsromanen. Wer weiß, was da noch kommen mag?